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 Veröffentlicht am 31.08.2024 18:00 Uhr
Den Loch Strangford durch seine schmale Rinne wieder zu verlassen, sieht simpler aus, als es tatsächlich ist. Man möchte die Tidenströmung mitlaufend haben, da ansonsten kein Streckengewinn zu erwarten ist. Gleichzeitig darf aber kein Schwell aus südlicher oder östlicher Richtung vor der Ausfahrt auf einen warten. Denn wenn die bis zu 8 Knoten schnelle Strömung auf die gegenläufige Dünung trifft, verwandelt sich das Wasser auch bei Flaute zum Hexenkessel.

Als ich aufbreche, spüre ich schon am Ankerplatz den nach Süden setzenden Strom. Erst angenehm unterstützend, dann ein wenig zu schnell für meinen Geschmack. Aus den ca. 5,5 Knoten, die wir meistens unter Motor laufen, werden erst 9, dann 11, bei 13,3 Knoten erreichen wir das Maximum. Tatsächlich fast 8 Knoten Strömung. Wenn jetzt doch Wellen vor der Ausfahrt anlaufen, gibt es kein Zurück. Ich muss da durch, ob ich will oder nicht.

Bei absoluter Flaute empfängt mich glücklicherweise nur eine sanfte Restdünung aus Süden, die sich dem Tidenstrom entgegen stellt. Viel bessere Bedingungen kann man vermutlich nicht erwarten und trotzdem bereiten die ca. 2 Minuten, in denen das Wasser am wildesten bockt, kein Vergnügen. Der Bug prescht ins Wellental, der Schlag donnert durchs ganze Boot, das Salzwasser der darauffolgenden Welle schießt über das Vordeck. Die Sprayhood, von mir regelmäßig liebevoll als Wintergarten bezeichnet, hält mich trocken.

20 Minuten nach Abfahrt ist über die ca. 60 Meilen lange Strecke eigentlich schon alles berichtet, was es zu erzählen gibt. Der gemütliche Reisetag mit viel Sonnenschein und wenig Wind bleibt ansonsten unspektakulär.

Viele geschützte Ankerplätze gibt es nicht an der irischen Ostküste. Hinter der Hafenmauer der Stadt Skerries ankere ich zwei Nächte. Delphine gehören hier fast zum alltäglichen Programm. Selbst im Bojenfeld hüpfen sie aus dem Wasser und verbreiten gute Stimmung.

Die Reise nach Dublin, dort wird das Wiedersehen mit Mareike stattfinden, habe ich nach diesem Schlag bereits zu etwa 3/4 hinter mir. Stress brauche ich mir also keinen machen.

Nach einer weiteren Ankernacht vor dem Hafen Howth, auch diese ist aufgrund der geringen Landabdeckung etwas rollig, gehe ich in der Dublin Bay vor Anker. Der Verkehr auf dem Wasser ist beeindruckend. Schnelle Fähren, zahlreiche Containerschiffe und eine regattabegeisterte Seglergemeinschaft lassen die eigentlich recht große Bucht manchmal klein erscheinen. Einmal zähle ich 71 Boote.

Mit dem Dinghy lande ich an. Somit habe ich nun nicht nur die Seegrenze zurück in die EU überquert, sondern betrete vier Tage nach Grenzübertritt auch Land und Boden. Als Erstes muss ich eine irische Gastlandflagge kaufen, die wir bei unserer Planung scheinbar verschusselt haben.

Die Dublin Bay ist nach Osten komplett offen, Schwell läuft mal mehr und mal weniger an meinen Ankerplatz. Da die Häfen aber bei der Preisgestaltung nicht gerade schüchtern zu Werke gehen, möchte ich noch ein paar Nächte sparsam vor dem Hafen ausharren, solange Wind und Wellen das zulassen. Zudem genieße ich gerne die Abendstimmung in der dann meist leeren Bucht.

Bereits nach zwei Nächten treibt mich mein Bauchgefühl doch in den Hafen. Leider wortwörtlich. Magenschmerzen, die über einen Zeitraum von 24 Stunden anhalten (eine mir bisher völlig unbekannte Erfahrung), veranlassen mich dazu, vorsichtshalber einen schnellen und sicheren Landzugang zu suchen. Falls sich da etwas Schlimmeres ankündigt, wäre Hilfe vor Anker wesentlich komplizierter zu erhalten als am Steg. Die Marina entpuppt sich als die größte, in der wir seit Ewigkeiten waren.

Glücklicherweise stellt sich die Vorsichtsmaßnahme als unnötig heraus. Der Magen beendet seine Rebellion im Laufe des ersten Hafentags. Da ich jetzt aber schon angelegt habe, laufe ich auch nicht mehr aus.

Fünf Nächte später treffen Mareike und ihre Mutter in Dublin ein. Zusammen genießen wir für zehn Tage die Nähe zur Großstadt.

Abgesehen von einem kurzen Waffel-Frühstück in der Dublin Bay (selbstverständlich mit Delphin-Begleitung) bleibt Müggele derweil angeleint im Hafen.

Unter anderem steht ein Ausflug nach Belfast auf dem Programm. Im Titanic Museum lernen wir, wie wir es am besten nicht machen.

Als ebenfalls nicht nachahmenswert empfinden wir die historischen Ereignisse, die sich während der vergangenen Jahrzehnte in dieser Stadt abspielten. Bei einer Stadtführung lernen wir einiges über die gewaltreichen "Troubles" zwischen den nach wie vor verfeindeten Gruppen aus Loyalisten und Separatisten. Noch heute verlaufen hohe Zäune mitten durch die Stadt.

Der wenig strukturierte Vortrag, der zudem mit einer gehörigen Portion an lokalem Dialekt serviert wird, hinterlässt bei uns dreien die eine oder andere offene Frage. Wir legen mit Hilfe von YouTube noch etwas Bildung nach.

Als der Bordbesuch meiner Schwiegermutter zu Ende geht, warten Mareike und ich auf gute Winde für die Weiterfahrt. 

Ein anderes, uns von Facebook bekanntes Segelpaar, kommt uns gerade recht, um die Wartezeit zu versüßen. Beim gemeinsamen Pub-Besuch prüfen wir ausgiebig, ob das Guinness an seinem Ursprungsort tatsächlich noch besser schmeckt als anderswo.

Die Tage mit angenehmen Winden sind rar. Es fühlt sich schon so richtig nach Herbst an. Eine kurze Phase mit schwachem Wind nutzen wir, um Dublin zu verlassen und nach Arklow zu fahren. Dort freuen wir uns über das Wiedersehen mit derselben Pub-Crew wie wenige Tage zuvor. An Bord der Antares werden wir delikat versorgt und genießen einen wunderschönen Abend.

Dann ist wieder Abwettern angesagt. Nach fast drei Wochen im Hafen Dublin (eigentlich hieß der Vorort Dun Laoghaire) verbringen wir erneut acht Nächte am Pontoon. Einige davon mit wenig Schlaf. Stürmische Winde drücken uns auf den Steg, lassen die Fender quietschen und schicken schaukelige Wellen durch die Hafeneinfahrt - eigentlich eine Flussmündung.

Zu unserem Glück bedeutet Starkwind dieses Mal nicht automatisch Regen. Wir können die Tage teilweise für Landausflüge nutzen. Dutzende Kilometer wandern wir an der Küste, durch Felder, über Berge, entlang von Seen und Tälern.

Irland ist in dieser Ecke landschaftlich nicht so spektakulär wie Schottland, aber trotzdem ein Genuss.

Auch die Bootspflege kommt nicht zu kurz. Das Holz im Cockpit bekommt zwei Lagen Woodskin spendiert.

Vor dem nächsten heranziehenden Tief schaffen wir einen Sprung in eine halbwegs geschützte Ankerbucht am südöstlichen Ende Irlands. Bei Rosslare verbringen wir fünf Tage am Haken, bevor wir am Donnerstag (vorgestern - an dieser Stelle im Text sind wir fast in der Gegenwart angekommen) Irland verlassen und den Kurs auf die Scilly Isles anlegen. Eine kurze Hochdruckphase ist angesagt, und die ist empfehlenswert für einen Besuch dieser etwas abgelegenen Inselgruppe. 

Eigentlich stellt Land's End das westliche Ende Englands dar. Die Scillies liegen noch weitere 20 Seemeilen westlich davon in der Keltischen See. Wir hoffen, dort Segelkameraden anzutreffen, die die Überfahrt vor uns in Angriff genommen haben.

Erst kürzlich noch hätte ich Sorgen gehabt, ob wir dort überhaupt Empfang haben werden, und ob dieser Status zeitnah den Weg ins Netz finden wird. Wir können seit Mareikes Rückreise vom Heimataufenthalt allerdings von einem kleinen Upgrade der Bordelektronik berichten. Täglich sende ich Danksagungen Richtung Himmel, denn dort kreisen die Satelliten des (bisher) absolut genialen Starlink-Systems. Fehlende Mobilfunknetze auf offener See oder hohe umliegende Berge können uns jetzt nicht mehr davon abhalten, unsere Internetsucht zu befriedigen. Elon Musk sei Dank.

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